Thursday, July 13, 2017

Die hässlichste Aussicht der Welt


Das Gebiet rund um die palästinensische Sperrmauer von Betlehem ist hässlich und unattraktiv.
Mit dem „Walled Off Hotel“ will Street Art Künstler Banksy Leuten diesen Ort näher bringen.

 

































Aus der Ferne wirkt es zunächst wie ein Grandhotel. Von Nahem sieht man jedoch, dass die altmodische Fassade nur aufgemalt ist. Ein palästinensischer Portier in Frack und Zylinder öffnet die Tür. Beim Betreten der Pianobar, die als Lobby dient, wähnt man sich in einem britischen Gentleman-Club zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zwischen weichen Polstern und Trophäen aus den Kolonien kann man hier bei Klaviermusik englischen Tee in feinstem Chinaporzellan genießen und dabei den Blick aus dem Fenster schweifen lassen – und glotzt direkt auf Beton. Mit der „hässlichsten Aussicht der Welt“ wirbt das „Walled Off (zu deutsch: eingemauerte) Hotel“ für seine insgesamt zehn Zimmer, deren Fenster keinen anderen Ausblick als den auf die Grenzmauer freigeben. 

 
Das kürzlich eröffnete Kunstprojekt des britischen Streetart Aktivisten Banksy steht in Bethlehem, Palästina, direkt neben einer acht Meter hohen Grenzmauer aus Beton. Errichtet mit der Begründung, dass sie vor Terrorismus schützt, verstößt die seit 2002 im Bau befindliche, fast 800 Kilometer lange Sperranlage zwischen dem Westjordanland und Israel gegen internationales Recht. Wer als Europäer die streng bewachten Checkpoints passiert, ist deutlich privilegiert, anders als die Bevölkerung Palästinas: von hier darf nur ausreisen, wer eine ausdrückliche Sondergenehmigung besitzt.

 
Banksy, Streetart Star mit geheimer Identität, hat bereits vor zwölf Jahren begonnen, in Bethlehem politische Schablonengraffitis anzubringen. Diese haben Heerscharen von Fans angezogen: angeblich wird der biblische Ort schon von mehr „Banksy“-Touristen als von „Jesus“-Touristen frequentiert. 
Doch ob Streetart – wie von vielen Palästinensern erhofft – der restlichen Welt die prekäre Lage vor Ort wirklich nahe bringen kann, ist umstritten. Kritiker befürchten eine Beschönigung der völkerrechtlich inakzeptablen Grenzmauer oder deren falsche Darstellung in den Medien, die zur „Normalisierung“ der israelischen Besatzung Palästinas beitrüge.

Dass sich Banksy dieses Widerspruchs bewusst ist, verdeutlicht Jamil Khader, Anglistikprofessor und Studiendekan an der Bethlehem University, anhand einer Anekdote. Der in Haifa geborene Araber, der lange in den Vereinigten Staaten lebte, forscht zu Banksy's Werken in Palästina.


"Verschiedenen Quellen zufolge hat Banksy tatsächlich einmal selbst Folgendes erzählt: eines Tages, als er gerade die Mauer bemalte, kam ein älterer, Palästinensischer Mann vorbei und fragte: Was machst du da? Und Banksy antwortete: Ich male auf die Mauer. Woraufhin der alte Mann ihn ansah und sagte: Tu das nicht. Die Mauer ist häßlich. Mach sie nicht schön. Geh heim.
Was die geopolitischen Umstände in Palästina betrifft, bin ich selbst der Meinung, dass viele Leute auf der Welt die Besatzung “normalisieren”. Die Besatzung wurde verharmlost und verschwiegen. Tatsächlich macht Banksy gerade dadurch, dass er auf diese Mauer malt oder indem er direkt daneben dieses neue Installationshotel eröffnet, auf diese Mauer und auf das Apartheidregime aufmerksam. Und ich denke, genau darin liegt die Stärke seiner Arbeit.”

Ein häufiges Stilmittel in Banksy's Werken ist die stark überzeichnete oder krass untertriebene Darstellung bestehender Verhältnisse, die deren Drastik herausstellen soll. Im Falle eines Banksy Graffitos über einem Hotelbett sorgt diese Machart für Kontroversen.

Das Bild von einer Kissenschlacht zwischen einem israelischen Soldaten und einem palästinen-sischen Bürger wurde dafür kritisiert, dass es von zwei Gegenübern auf Augenhöhe ausgeht. Der von Anfang an asymmetrische Nahostkonflikt jedoch habe noch nie auf Augenhöhe stattgefunden.



Jamil Khader hält diesen Vorwurf für unreflektiert:

 

"Wenn man bei Kunst die Dinge, die man sieht, wörtlich nimmt, ohne ihren Kontext oder ihre Symbolik zu berücksichtigen, dann verpasst man ihre wahre Bedeutung. Was man in diesem Gemälde sieht, entspricht nicht eins zu eins Banksys Sichtweise. Vielmehr kritisiert er oder verspottet oder parodiert sogar die Art und Weise, wie heutzutage im öffentlichen Diskurs, in den Massenmedien und von westlichen Regierungen mit dem palästinensischen Freiheitskampf umgegangen wird. Die Leute neigen dazu, zu glauben, dass Palästinenser und Israelis in dem Konflikt gleichberechtigte Partner sind. Dabei kann Israel, welches die sechststärkste Militärmacht der Welt ist und die zehntstärkste Wirtschaft der Welt besitzt, niemals mit der Wirtschaft Palästinas oder der Sicherheitslage für die Palästinenser verglichen werden. Was Banksy uns zeigt, ist, dass der Palästineser gerade deshalb an der Kissenschlacht teilnimmt, weil er eigentlich gar keine Wahl hat. Die Palästinenser sind immer die Unterlegenen."


 





Weitgehend auf Ironie verzichtet hingegen das kleine Museum im Erdgeschoss des Hotels.
Es präsentiert zunächst nüchtern und faktisch die geopolitische Geschichte Palästinas seit seiner Kolonialisierung.
 

Weniger nüchtern und durchaus nicht subtil in ihrer Botschaft erscheinen dagegen weitere Exponate, die Mittel der militärischen Unterdrückung durch Israel darstellen. 


An eine Geisterbahn erinnert schließlich die lebensgroße Puppe des englischen Lord Balfour am Ende des Rundgangs, die auf Knopfdruck wieder und wieder den Vertrag von 1917 unterzeichnet, der der zionistischen Bewegung einen jüdischen Staat in Palästina versprach. 


"I'm ashamed to be British",, äußert sich eine Hotelbesucherin. Vor kurzem hat sie in London an einer Demonstration teilgenommen: Im Zuge einer aktuellen Debatte um die „Balfour Declaration“ forderten britische Bürger die Regierung auf, das hundertjährige Jubiläum nicht mit Nationalstolz, sondern mit einer öffentlichen Entschuldigung für die Fehler der englischen Kolonialpolitik zu begehen.


Jamil Khader betont, dass Banksy sich als Brite dem Nahostkonflikt nicht als „Jemand von außen“ nähert:


"Das erste, was Banksy einem deutlich machen will, wenn man das Hotel betritt, ist, dass man sich in einem Gentleman-Club befindet ̶ in einem kolonialen Verein, der hier ist, weil Großbritannien hier war. Dass die englische Regierung und das englische Volk eine Verantwortung haben, wenn es um Palästina geht. Er macht auf ein großes Problem in der englischen Geschichte aufmerksam. Vor allem gerade jetzt, wo führende, englische Politiker wie die Premierministerin Theresa May und Andere von der Bevölkerung verlangen, stolz auf die Balfour Deklaration zu sein. Wie kann man denn stolz auf ein Schriftstück sein, das der Weltbevölkerung so viel Leid verursachte, allen voran den Palästinensern?"





Neben den zahlreichen Installationen und Gemälden von Banksy sind im Hotel auch weitere Künstler vertreten, wie Sami Musa und Dominique Petrin, die individuelle Hotelzimmer gestalteten. Eine großräumige, durch die Lobby erreichbare Galerie ist ausschließlich Werken palästinen-sischer Künstler vorbehalten, darunter Berühmtheiten wie Sliman Mansour und Khaled Hourani.


Die Website des Walled Off weist auf die Uneigennützigkeit des Etablissements hin: sämtliche Gewinneinnahmen sollen in lokale Projekte fließen. Auch die Aussage des Hotelmanagers bestätigt, dass hier lokale Arbeitskräfte gefördert werden: Die rund fünfzig, auf sympathische Weise unsicheren, palästinensischen Hotelangestellten, die die Essensbestellung verwechseln und beim Kassieren versehentlich zu wenig verlangen, bräuchten eben noch etwas Zeit, um in den neuen Job hineinzuwachsen. 


 

In Palästina ist die Arbeitslosigkeit hoch. Die Wirtschaft leidet unter dem Konflikt und der Besatzung. Jamil Khader sieht in Banksys Bemühungen auch ein Statement zur wirtschaftlichen Lage Palästinas:
 
"Sein wichtigster Ansatz hierbei ist für mich das, was er in punkto Konfliktlösung mitteilt. Dass es keine wirkliche politische Lösung geben kann, solange es keine wirtschaftliche Lösung der Problematik gibt. Erst, wenn die Palästinenser wirtschaftlich unabhängig sind, kann tatsächlich über eine realistische, politische Lösung gesprochen werden. Aus diesem Dilemma wird es so lange keinen Ausweg geben, bis es einen unabhängigen, palästinensischen Staat gibt. Erst ein solcher Staat wird in der Lage sein, mit den Israelis und der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten."

Die widersprüchlichen Annehmlichkeiten des Hotels hinterlassen Wirkung. Insgeheim schämt man sich für die eigene, unfreiwillige Dekadenz, möchte sich von den freundlichen Palästinensern nicht einfach nur bedienen lassen, um anschließend tatenlos wieder abzureisen. Ob allerdings auch so von Banksy beabsichtigt oder nicht: in ihren Dieneruniformen wirken sie wie kostümierte Spielfiguren in einer von unbekannter Hand geplanten Inszenierung, in der man auch als Gast eine ganz bestimmte Rolle einnehmen soll. Bei der Aufarbeitung der berechtigten, wichtigen Thematik lässt einem das allerdings etwas wenig individuellen Spielraum.



















erschienen in: MIXMUC EDITION Juli 2017, Hrsg.: Nachwuchsjournalisten in Bayern e.V. & Kulturraum München e.V.